Ausstellungseröffnung REWORK – Verena Billinger & Sebastian Schulz
Eine kleine Einführung von Irina Raskin
REWORK ist in zweifacher Hinsicht ein Auftakt. Zum einen ist es der Beginn einer Reihe, die Verena Billinger und Sebastian Schulz ins Leben gerufen haben. REWORK dient dem Choreografen-Duo als Anlass zuvor bereist realisierte Werke nochmals aufzugreifen, zu überdenken, einem aktuellen Kontext anzupassen und damit zu überarbeiten. Zum anderen präsentieren Verena Billinger und Sebastian Schulz mit diesem ersten Teil der REWORK-Reihe ihre erste Einzelausstellung. In dieser Ausstellung treffen Installationen, Videoarbeiten und Audiostücke, die zwischen 2005 bis 2012 entstanden und gezeigt worden sind, auf ganz neue Produktionen aus diesem Jahr und sogar auf eine Arbeit aus der Zukunft – auf ein Kunstwerk, das noch zu realisieren gewesen sein wird. Es handelt sich dabei um „Pferd (absent horse)“ – das abwesende Pferd.
Ausgangpunkt dieser Arbeit ist die Idee von einem Automaten in Form eines Pferdes in Lebensgröße, das unaufhaltsam im Kreis galoppiert. In der Ausstellung finden wir vier unterschiedliche Fassung davon. Drei davon sind bereits gestaltete Objekte, die in Zusammenarbeit mit Studierenden der Köln International School of Design und ihrem Professor Andreas Muxel realisiert wurden. Diese drei Annährungen an die Idealvorstellung eines zur ausgangslosen Bewegung verdammten Pferdeautomaten sind kinetische Skulpturen: Ein Mal als ein mechanisches Holzpferd das in Slow Motion auf einer Stelle tritt, dann als LED-Dioden auf Aluminiumstäben befestigt, bei denen sich die Pferdeform auflöst in vorbeirauschenden Lichtern, die die Bewegung des Pferdes imitieren, sodass man das Tier als Ganzes gar nicht zu fassen bekommt und auch im dritten Versuch entzieht sich die ruhende Gestalt eines Pferdes den Betrachter*innen, verharrt doch die Plastikfolie, die immer wieder von Ventilatoren aufgeblasen wird, nie in einer Position und wird auch nie gänzlich mit Luft ausgehüllt, sodass ihre Vollendung als ganzheitliche Gestalt unterwandert wird. Die vierte Variante des abwesenden Pferdes wird stellvertretend durch das Poster zur Ausstellung, das eine Pferdeskulptur ohne Reiter zeigt, zum Leben erweckt. Damit ist die ursprüngliche Idee gemeint. Wenn auch der sich im Kreis drehende Pferdeautomat hier nicht zu sehen ist, so zieht er bereits in unseren Köpfen seine endlosen Bahnen. Das abwesende Pferd spukt also bereits als eine Einbildung umher und ist damit zwar immateriell, aber dennoch verwirklicht. In dieser quasi immateriellen Variante hat die Arbeit eine gewisse Nähe zur Literatur, deren Geschichten auch auf die Vorstellungkraft der Leser*innen angewiesen sind. Ihr ist eine gewisse Einzigartigkeit inne, die anders kaum zu erlangen ist, denn jeder von uns stellt sich diesen Automaten anders vor.
Auch kulturgeschichtlich hat das Pferd eine enge Verbindung zur Literatur: Als Mischwesen ist das beflügelte Pferd Pegasus ein Sinnbild für die Dichterkunst und damit für die Fähigkeit das Imaginäre und Fantastische fassen können. Ebenso verkörpert der Automat einen alten Menschheitstraum, nämlich den tote Objekte in lebendige Wesen zu verwandeln, sie also zu animieren. Der Schlüssel zu dieser magischen Verwandlung lag zunächst tatsächlich bei der Bewegung. Die ersten Automaten, die sich im 17. und 18. Jahrhundert einer Popularität erfreuten, waren mechanische Maschinen, die das Erscheinungsbild von Mensch und Tier imitierten, indem sie ihre Bewegungsabläufe nachahmten. Den Dingen wurde damit ein Hauch des Lebendigen verliehen und gleichzeitig auch eine Art von Selbstständigkeit, die eben nur durch die Fähigkeit sich selbst zu bewegen, statt von anderen bewegt werden zu müssen, erlangt werden kann.1 Diese Phase der Automaten war – ähnlich wie das abwesende Pferd in der Ausstellung – geprägt von der Idee einer automatischen Anatomie, die gleichsam war mit einer bewegten Anatomie. Sie war einerseits angetrieben durch einen Forscherdrang die Funktionsweise des menschlichen und tierischen Körpers zu ermitteln und wurde beispielsweise durch die Pariser Akademie der Wissenschaft gefördert. Anderseits dienten die Automaten aber vor allem zur Unterhaltung und wurde in Theatern, an Schauplätzen und Messen der Öffentlichkeit vorgeführt.2 So präsentierte beispielweise Wolfgang von Kempelen 1778 seine Sprechmaschine, die die Aktivität menschlicher Sprechorgane imitierte3. Eine Idee, die auch wenige Jahre zuvor Abbé Mical realisiert und zwar mit Stück „Tête Parlantes“ (sprechende Köpfe). Es handelt sich dabei, um eine Aufführung eines Dialogs in vier Sätzen, das aus den Mündern von zwei Menschengroßen Kopfautomaten vorgetragen wurde. Die Automaten wurden durch eine Tastatur bedient.4 Zu dieser Zeit hatten die Automaten also – vielleicht ähnlich wie das „absent horse“ von Verna Billinger und Sebastian Schulz – noch nicht ihre Idealform erlangt, waren sie doch weiterhin auf eine menschliche Bedienung angewiesen. Doch während diese Unterhaltungsmaschinen geprägt waren von einem Glauben durch die artifizielle Nachahmung von natürlichen Bewegungen dem Geheimnis des Lebendigen auf die Spur zu kommen, fragt man sich, ob das sich im ewigen Kreis drehende Pferd nicht ein anderes Schicksal hat. Ist das Pferd, das oftmals als ein Symbol für Leidenschaft, Kraft und Freiheit gilt, hier doch zu einer Art Sklave der Unterhaltung mutiert. Es bewegt sich des Bewegens willen und bietet damit einen etwas bitteren Beigeschmack. Vor allem wenn man bedenkt, dass dieses Pferd als eine Allegorie auf den Tanz verstanden werden kann.
Schon bald erhalten die anfänglich noch zu Unterhaltszwecken gebauten Automaten einen ökonomischen Wert – ab dem ausgehenden 19. Jahrhundert sollen sie nicht mehr natürliche Bewegungen einfach nur nachahmen, sondern auch entbehrlich machen. Die Motivation fließt in die Entwicklung von Robotern, die menschliches Handwerk und dessen Leistungskraft ersetzen sollen. Die Gestaltung der Automaten orientiert sich nun an der Herstellung von Maschinen, mit mechanischen Gliedern, die zu produktiven Arbeitern werden soll und damit industriell nutzbar gemacht.5 In der Ausstellung REWORK finden wir ein absurdes Relikt dieses Gedankens, nämlich bei dem Werk „Kundenstopper grüßen Dich!“. Im halbdunkeln Raum inszenieren Verena Billinger und Sebastian Schulz die eben sogenannten Kundenstopper zu einem obskuren Kabinett. Die Kundenstopper, die kurioser Weise ihre Verwendung häufig bei Matratzengeschäften finden, sind Pappfiguren, die durch sich drehende Köperglieder Fußgänger dazu animieren sollen im Laden halt zu machen. Aus ihrem ursprünglichen Kontext entrissen werden auch die Kundenstopper zu Unterhaltungsmaschinen, denen es nicht an Humor fehlt. Die dadurch neu gewonnene Zwecklosigkeit der Kundenstopper wird noch zusätzlich durch eine Closed-Circuit-Videoinstallation überspitzt. Das Portrait einer der Figuren, wird in Realzeit von einer Videokamera aufgezeichnet und gleichzeitig in der Installation projiziert. Die Kundenstopper performen nicht nur für uns, sondern auch für die Kamera.
Gleichzeitig finden wir in der Ausstellung menschliche Körper, die sich – wenn man so will – an einem mechanischen Bild orientieren. Es wird verkörpert durch die mehrteilige Videoarbeit „Cheerleader“ ebenso wie auch durch die Videos trainierender Ballerinas in den Installationen „Ninfa“. Die Bewegung der Frauenkörper orientiert sich hier an der Wiederholung gleicher Abläufe, die in Gruppen synchron ausgeführt werden. Zur Perfektion können die Tänzerinnen nur erlangen, wenn sie sozusagen den mechanischen Aspekt der Bewegung annehmen – erst im Training wird durch die Wiederholung der immer gleichen Bewegung der natürliche Körper geformt und damit auch überwunden.
Überhaupt scheinen Verena Billinger und Sebastian Schulz in dieser Ausstellung die Frage aufzuwerfen, was überhaupt als natürliche und was als artifizielle Bewegung, was als ideale Körpervorstellung und reale Verkörperung geltend gemacht werden kann und richten den Fokus der Betrachtung dabei stets auf die Ambivalenz zwischen diesen Kategorien. So machen sie in der Arbeit „Übermalungen“ deutlich, dass der Körper nicht nur durch Bewegung zu Gestalt findet, sondern genauso stets ein Bild benötigt, um letztlich Form werden zu können. Dabei ist das Bild, was man von sich selbst hat, also wie sich der eigene bewegte Körper anfühlt, ebenso ausschlaggebend, wie das Bild von außen, also so wie andere den Körper wahrnehmen. Der Körper, so legt diese Arbeit nahe, ist niemals natürlich – im Sinne von bereits gegeben – sondern muss erst gemacht und hergestellt werden, was ohne die Aneignung einer fremden Perspektive nicht möglich ist. Im Bild findet der Körper eine Art Artikulation zwischen inneren und äußeren Kräften, was auch durch die Eingriffe, die Verfremdungen, die die Choreografen an den gefundenen Bilder vornehmen, einen Ausdruck findet.
Auch wenn Verena Billinger und Sebastian Schulz hier die Black Box des Theaters zu Gunsten des White Cubes des Ausstellungsraums verlassen haben, behandelt sie in ihren Werken weiterhin choreografische Themen. Der formale Übergang von Aufführung zur Werkpräsentation wird dabei begleitet von einer entscheidenden Abweichung: nämlich die, dass auch der Publikumskörper in Bewegung versetzt wird. Im Ritual der Ausstellung müssen die Zuschauer*innen nicht wie im Theaterraum eine vorgegebene Perspektive einnehmen, sondern können sich durch die Räume bewegen, damit selbst wählen, wie nah oder distanziert sie einem Werk begegnen möchten.6 Mit der Installation „Ninfa“ – die in der Ausstellung in drei verschiedenen Varianten zu finden ist – realisieren sie dabei eine Art Mischform von Ausstellung und Bühneninszenierung. In die sogenannten Suchräume begibt man sich einzeln, ausgestallt mit einer Taschenlampe. In den „Ninfa“-Räumen treffen Artefakte der Natur – wie Baumäste, Gestrüpp, Wasser, Moos – auf Artefakte der Kultur – wie Videos, Textfragmente und Abbildungen. Ihre Zusammenstellung orientiert sich an dem Mythos der Nymphe. In der griechischen und römischen Mythologie sind Nymphen Mischwesen zwischen dem Göttlichen und dem Menschlichen. In Form von jungen Frauenkörpern personifizieren sie Naturkräfte. Sie sind an Orten wie den Bergen, im Wald oder in Grotten heimisch und werden in der Kultur- und Kunstgeschichte nicht nur als leichtbekleidete, sondern auch leichtfüßige Wesen dargestellt. Da sie nicht an einen Ort gebunden sind, schweifen sie tanzend umher. Die Nymphe ist eine Art übernatürliches Wesen, das in der Darstellung eines ewig jungen bleibenden Körpers seinen Ausdruck findet und damit das Begehren nach einem zeitlosen und unsterblichen Körper weckt. Als Inspiration zur Installation dienten Verna Billinger und Sebastian Schulz zwei Schriften des Philosophen und Kunsthistorikers Georges Didi-Huberman. In der Darstellung der erotischen Figur der Nymphe sieht er das Begehren und die Zeit als solche verkörpert. Diese Verkörperung entspinnt sich beispielweise in der Umhüllung des Körpers durch durchsichtige Schleiergewände. Dadurch wird zwar der Blick auf die völlige Nacktheit versperrt, doch aufgrund der empfindlichen Oberfläche auch erst darauf gelenkt.7 In der Installation setzen Verna Billinger und Sebstian Schulz dem Mythos vom zeitlosen Körper Bildmaterial entgegen, das gerade auf die Verletzbarkeit und Vergänglichkeit aller körperlichen Wesen verweist. Womit wir wieder bei unserem Ausgangspunkt dem „absent horse“ und dem Spannungsverhältnis zwischen der Idealvorstellung einer ewigen Bewegung und dem Lebendigen angelangt wären.
Das ewige Leben scheitert also an der Vergänglichkeit des Lebens selbst. Eine zur ewigen Wiederholung verdammte Bewegung wird der Möglichkeit beraubt sich tatsächlich fortzubewegen, in dem Sinne, als dass sie ihre Gestalt verändert und damit etwas anderes wird.
Mit der Ausstellung REWORK machen Verena Billinger und Sebastian Schulz auf eindrückliche Weise erfahrbar, dass Tanz als die Kunstform, die sich wie keine andere die Erforschung des Ephemeren und Flüchtigen auf die Fahnen geschrieben hat, nicht nur auf eine Bühnensituation beschränkt werden kann, sondern auch in der Gestalt vielfältiger Medien zur Aufführung findet.
Fußnoten
1 Vgl. Manovich, Lev: „Automation of Sight: from Photography to Computer Vision.“
2 Vgl. Priebe, Carsten: „Vaucansons Ente. Eine kulturgeschichtliche Reise ins Zentrum der Aufklärung.“
3 Vgl. Felderer, Brigitte: „Mündigkeit.“
4 Vgl. Sayous, Philippe: „Les têtes parlantes de l’Abbé Mical.“
5 Vgl. Manovich, Lev: „Automation of Sight: from Photography to Computer Vision.“
6 Zur Rolle des Ausstellungsformats bei einer Disziplinierung des Sehens und Subjekt-Werdung der Betrachter*innen siehe Bennett, Tony: „Der bürgerliche Blick. Das Museum und die Organisation des Sehens.“.
7 Vgl. Didi-Huberman, Georges: „Ninfa moderna. Über den Fall des Faltenwurfs.“
Quellenverzeichnis
Bennett, Tony: „Der bürgerliche Blick. Das Museum und die Organisation des Sehens.“ In: „Die Ausstellung. Politik eines Rituals.“ Hrsg. v. Carolin Meister, Dorothea von Hantelmann, Diaphanes, Zürich-Berlin, 2010, S. 47-77.
Didi-Huberman, Georges: „Ninfa moderna. Über den Fall des Faltenwurfs.“ Diaphanes, Zürich-Berlin, 2002.
Felderer, Brigitte: „Mündigkeit.“ http://klangmaschinen.ima.or.at/db/db.php?id=39&table=Object&lang=de&showartikel=1&view=ausstellung [7.10.2016].
Manovich, Lev: „Automation of Sight: from Photography to Computer Vision.“ http://manovich.net/content/04-projects/014-automation-of-sight-from-photography-to-computer-vision/11_article_1997.pdf. [Sept. 2016].
Priebe, Carsten: „Vaucansons Ente. Eine kulturgeschichtliche Reise ins Zentrum der Aufklärung.“ Books on Demand, Norderstedt, 2004.
Sayous, Philippe: „Les têtes parlantes de l’Abbé Mical.“
http://automates-boites-musique.over-blog.com/2014/05/les-tetes-parlantes-de-l-abbe-mical.html [7.10.2016].