Ermüdend und doch unermüdlich

„Ein Tanzabend / N.N.“ von Billinger & Schulz in Düsseldorf passt genau zur Zeit

Von Melanie Suchy

Die Vorstellung scheint zu Ende zu sein. Doch da kommt noch was. So überschreitet das alles die Mitternachtsgrenze. Was das Choreographenduo Verena Billinger und Sebastian Schulz mit „Ein Tanzabend / N.N.“ präsentieren, selbstverständlich im Internet, ist ein Stück über Zeit. Über das Dauern, über Zeitverplempern oder Zeitverspielen, -bespielen, -durchspielen. Schon ihre letzte Bühneninszenierung 2019 hieß so: „Temps“, Zeit. Das Thema hat inzwischen viel schmerzlichere Bedeutung.

Der „Tanzabend“ mit dem Kürzel für jemanden noch nicht Benanntes, wird vom FFT in Düsseldorf und vom Mousonturm in Frankfurt ausgestrahlt.

An beiden Theatern haben die renommierten Billinger & Schulz seit Jahren ihre künstlerische Heimat. Auf dem Bild- schirm wird ein Raum simuliert, an drei Wänden ist hinter einem Foto ein Film hinterlegt mit Titel, Angabe der Dauer und der Möglichkeit, ihn jetzt anzuschauen, „ja“, oder „später“.

Wenn man durch ist, bietet sich ungeahnt noch mehr an, wie ein Schatzkämmerchen hinter einer verborgenen Tür. Das ist lustig, wie auch die teigigen Puppengesichter, die bei einer der gefilmten Choreografien auf die Bühne schauen aus dem höhlenartigen „Bau“, der im Mousonturm seit Sommer 2020 das Abstandszuschauen garantierte.

Der Humor schmeckt bitter nach Mutante, „N.N.“, und schmiegt sich dem Leerlauf des ganzen Geschehens an. Das nervt, aber ist stimmig.

Fünf fitte Menschen in Winterjacken schieben einen Kleinwagen auf einem Parkplatz umher in Kurven. Die Drohne mit der Kamera kurvt und kreist ebenso, wirft ihren insektenhaften Schatten. Es wird weder Benzin verbraucht noch Sprache. Alle schweigen, tragen Mundschutz, und haben am Ende schwere Beine vor Anstrengung.

In einem herrschaftlichen Saal im plastikverhangenen Renovierungszustand, in der Alten Oper in Frankfurt, wuchtet eine Tänzerin einen Spiegel umher. Nicht um sich selbst zu betrachten, sondern um für die Kamera Bilder vom Zeigen und Verdecken zu erschaffen.

In einem anderen großen Saal zitieren Tänzerinnen und Tänzer aus „Temps“, an Tischen mit Käse und Träubchen auf Tischdecken, in historisierenden, hochgeschlossenen Kleidern und sich wiederholenden Schrei-, Kniefall-, Sitz- und Volkstanzposen. Die dort eingestreuten Elemente des Doubelns, der Unisonobewegung, breitet dann das einstündige Duett im Mousonturm aus. Exzessiv.

Was Jungyun Bae und Magdalena Dzeco da scheinbar unermüdlich tanzen, präzise, maskiert, das Laufen, Herunterbeugen mit gekreuzten Füßen, Wenden auf halber Höhe und bei Sprüngen in der Luft, Rollen, Hochschieben eines Ellenbogens, Hochklappen von Arm oder Bein im Liegen, Rucken von Fäusten, Stampfen von Schuhen: Das ist Choreographie total, festgesetzt, aus wiederholbaren Elementen gebaut. Diese vermeidet gekonnt und ermüdend alles, was etwas bedeuten könnte, was als Geschichte oder Ausdruck interpretierbar wäre. Es ist: ihr Beruf. Die Hingabe von Tänzerinnen an eine sonderbare Aufgabe. Kunst.